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Wie ergeht es bunten und vielfältigen Familien in Deutschland?

#StopUngleichheit

08.08.2018 |




 

#StopUngleichheit
Das Zukunftsforum Familie zu SDG 10 - 
Ungleichheiten verringern

 



 

Christiane Reckmann,  
Vorstandsvorsitzende Zukunftsforum Familie e.V.
Fotograf: Kai Doering.

„Familien werden bunter und vielfältiger“ - Tragen ‚bunte Familien’ häufiger die Lasten sozialer Ungleichheiten? 

Bunte und vielfältige Familien sind zwar zur gesellschaftlichen Normalität geworden, aber viele Leistungen sind immer noch auf die traditionell-bürgerliche Ehe und Kleinfamilie ausgerichtet – wie z.B. das Ehegattensplitting. Somit sind bunte Familienformen zum Teil immer noch finanziellen Mehrbelastungen ausgesetzt, dies gilt etwa für alleinerziehende Mütter und Väter, die vielfach alleine oder mehrheitlich für ihre Kinder (finanziell) Sorge tragen. Hier fehlt es an Kitaplätzen, guten Arbeitsmöglichkeiten, aber eben auch an finanzieller Unterstützung. Für viele Alleinerziehende ist es schon schwer genug, die Miete für eine Familienwohnung alleine zu stemmen. Auch Regenbogenfamilien sind durch ihr Abweichen von traditionellen Familienleitbildern Stigmatisierungen und Diskriminierungen durch das gesellschaftliche Umfeld ausgesetzt.

Die Familienpolitik muss die geänderten Rahmenbedingungen für Familien berücksichtigen und sich an den Bedürfnissen der Kinder und Eltern ausrichten. Dies bedeutet in Hinblick auf die Vielfalt von Familie die Berücksichtigung der je nach Familienform spezifischen Bedürfnisse ohne eine Stigmatisierung vorzunehmen. Aus Sicht des Zukunftsforum Familie e.V. (ZFF) darf daher die Ehe als Lebensform nicht bevorzugt werden. Die Sorge für Kinder muss unabhängig von der gewählten Lebensform der Eltern unterstützt werden. Die Leistungen von Familien und Kindern mit Migrationshintergrund müssen anerkannt und die interkulturellen Kompetenzen von Fachkräften in familienunterstützenden Einrichtungen gefördert werden.


Ist es heutzutage gut möglich, die Familienverantwortung auf Mann und Frau gleich zu verteilen?

Nein, das ist nicht immer gut möglich. Zwar hat der Begriff der „Partnerschaftlichkeit“ in der vergangenen Legislaturperiode Einzug in den politischen Diskurs gehalten und damit das konsequente Zusammendenken von familien- und gleichstellungspolitischen Perspektiven in der Familienpolitik, allerdings wird dieses Bekenntnis zur partnerschaftlichen Familie nicht konsequent weiterverfolgt. So ist das Thema in dieser Legislaturperiode wieder von der politischen Agenda verschwunden.

Für das ZFF müssen Frauen und Männer gleichermaßen in die Lage versetzt werden, durch Erwerbstätigkeit eine eigenständige finanzielle und soziale Absicherung – auch im Alter – zu erreichen. Umgekehrt müssen beide Geschlechter Verantwortung für die Erziehung von Kindern, für die Pflege von Angehörigen oder für ehrenamtliches Engagement übernehmen können. Aber gerade die Übernahme von unbezahlter Sorgearbeit ist zwischen den Geschlechtern sehr ungerecht verteilt, denn Frauen leisten täglich 52 Prozent mehr unbezahlte Tätigkeit für andere als Männer. Dieser so genannte Gender Care Gap wurde erstmals im Rahmen des 2.Gleichstellungberichts errechnet. Auch auf dem Arbeitsmarkt zeigt sich eine Ungleichbehandlung der Geschlechter: der Gender Pay Gap liegt in Deutschland bei 21%. Damit verdienen Frauen ein Fünftel weniger als Männer. Deutschland gehört damit zum Schlusslicht in der europäischen Union.

Um Gleichstellung zwischen den Geschlechtern zu fördern und Partnerschaftlichkeit leben zu können, braucht Deutschland dringend bessere Rahmenbedingungen. Hierzu zählen die Weiterentwicklung der Elternzeit und des Elterngeldes hin zu mehr Parität zwischen den Elternteilen, die Weiterentwicklung des ElterngeldPlus hin zu einer Familienarbeitszeit mit Familiengeld sowie die Einführung eines „Väterschutzes“ direkt nach Geburt, wie sie derzeit u.a. von der Europäischen Kommission in die Diskussion gebracht wird. Darüber hinaus müssen dringend Instrumente aufgebaut werden, um auch bei der Pflege von Angehörigen eine partnerschaftliche Arbeitsaufteilung zu unterstützen.


Inwiefern macht Deutschland Fortschritte beim Thema ‚Vielfalt Familie’ und ‚Familiensorge’, und wo hakt es noch besonders?

Eine moderne Familienpolitik muss alle Familienformen, unabhängig vom konkret gelebten Modell, unterstützen. Zwar wurde mit der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare die rechtliche Gleichstellung im Eherecht vollzogen, viele Bereiche des Familien- und Abstammungsrechts weisen aber nach wie vor Unstimmigkeiten auf und werden der Realität vieler Familien nicht gerecht. Z.B. erlangt die Ehefrau der leiblichen Mutter ihre rechtliche Elternstellung bislang nicht mit der Geburt des Kindes, sondern durch das gerichtliche Verfahren der Stiefkindadoption. Auch Vorschläge für eine bessere rechtliche Absicherung von Kindern in Mehrelternkonstellationen müssen endlich vorgelegt und diskutiert werden. Aus Sicht des ZFF bedarf es einer Weiterentwicklung des Familienrechts, damit elterliche Verantwortung und das Kindeswohl in neuen Familienformen vom Recht besser anerkannt und unterstützt werden.


Gibt es beim Kampf gegen Ungleichheiten Vorbilder europa- und weltweit?

Mit Blick auf den Abbau von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sind uns die nordischen Länder Europas durchaus überlegen. Schweden und Dänemark haben einen sehr viel geringeren Unterschied in den Bruttoverdiensten zwischen Frauen und Männern. Auch Island wird immer wieder als Vorreiter in Sachen Gleichstellung genannt und macht Ernst bei der Lohngleichheit: Seit Anfang des Jahres 2018 schreibt ein Gesetz gleiches Gehalt für gleichwertige Tätigkeiten vor. Aber auch bei der gleichberechtigten Sorge für Kinder kann man sich von Island einiges abschauen: In Island nehmen weit über 90 Prozent der Väter Elternzeit in Anspruch – und zwar oft für sechs Monate. Dort ist das Elterngeld höher, wird aber kürzer ausgezahlt und das maximale Elterngeld lässt sich nur rausholen, wenn beide Partner*innen gleichberechtigt aussteigen. In Dänemark, Schweden, Island, Niederlande, Belgien, Großbritannien, Spanien, Malta und sogar in Österreich gelten beide Mütter bereits zum Zeitpunkt der Geburt als rechtliche Eltern eines gemeinsamen Wunschkindes. Eine bessere rechtliche Absicherung von Mehrelternkonstellationen gibt es seit 2013 in Kanada, aber auch in den Niederlanden liegt ein Gesetzentwurf zur Co-Elternschaft vor, der rechtlich regeln soll, dass bis zu vier Eltern erziehungsberechtigt sein dürfen. 


Wen unterstützt das Zukunftsforum Familie und wie werden diese Familien unterstützt?

Das Zukunftsforum Familie e.V. (ZFF) wurde 2002 auf Initiative der Arbeiterwohlfahrt gegründet. Als familienpolitischer Fachverband setzen wir uns für eine Politik ein, welche die Vielfalt der Lebensformen von Familien schützt, fördert und als Chance begreift. Unser Verständnis von Familie ist breit gefächert: Familie ist überall dort, wo Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen, Sorge tragen und Zuwendung schenken. Wir geben Familien in all ihrer Vielfalt eine Stimme und entwickeln Vorschläge für deren solidarische Unterstützung. Dabei arbeiten wir eng mit anderen Verbänden, Organisationen und Selbsthilfegruppen zusammen. 


Spielt die Agenda 2030 eine Rolle in den Aktivitäten des ZFF?

Die Agenda 2030 ist für uns ein neues Thema. Seit Anfang des Jahres denken wir sie aber bei unseren Aktivitäten immer mit und binden sie aktiv in unsere politische Lobbyarbeit ein. Was uns in Gesprächen mit Verbänden und Politik aber immer wieder überrascht, ist, dass der Stellenwert, den die Agenda 2030 für die Beseitigung von Armut und Ausgrenzung in Deutschland haben könnte, noch zu wenig Beachtung findet. Wir werden uns daher weiterhin bemühen, dass die Agenda 2030 stärker auf die politische Agenda gesetzt wird.


Welche konkrete politische Forderung haben Sie, die zur Umsetzung des SDG 10 in Deutschland beitragen kann?

Um ein gutes Aufwachsen von Kindern unabhängig von der Familienform zu gewährleisten und Teilhabe für alle Kinder zu sichern, bedarf es einer existenzsichernden finanziellen Absicherung für alle Kinder. Eine Kindergrundsicherung, wie es das ZFF gemeinsam mit weiteren Verbänden fordert, kann hier ein guter Weg sein (www.kinderarmut-hat-folgen.de). Diese neue Leistung soll allen Kindern zur Verfügung stehen und mit steigendem Einkommen der Eltern langsam abgeschmolzen werden. Daneben brauchen Eltern gute und existenzsichernde Erwerbsarbeit und eine gute und armutssensible Infrastruktur vor Ort. Geld und Infrastruktur dürfen dabei auf keinen Fall gegeneinander ausgespielt werden, sondern tragen nur gemeinsam zu einem Abbau von Ungleichheiten bei. 


Welchen konkreten Beitrag können Bürger*innen zur Umsetzung des SDG 10 leisten? 

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich auch als Bürger*in für die Umsetzung des SDG 10 einzusetzen. Dabei muss es nicht immer gleich die Übernahme eines Ehrenamtes sein, auch Umsicht im täglichen Leben vor allem in Bezug auf den Umgang mit Menschen, können zu einem Abbau von Ungleichheiten beitragen: Wie geht es meinen Mitmenschen, meinen Nachbarn? Wo kann ich behilflich sein? Darüber hinaus gibt es auch zahlreiche politische Kampagnen, wie z.B. das Bündnis Reichtum umverteilen (www.reichtum-umverteilen), das ein besseres und gerechtes Land für alle schaffen möchte und den Reichtum in Deutschland umverteilen und gerecht einsetzen möchte. Neben zahlreichen Verbänden, können hier auch Einzelpersonen den Aufruf des Bündnisses unterzeichnen und damit die Schlagkraft dieses Bündnisses erhöhen. Möchten Bürger*innen etwas aktiver werden, bietet die AWO vielfältige Möglichkeiten, sich zu engagieren (www.awo.org). 

Das vollständige Interview finden Sie hier im PDF Format.

   


Die Kampagne #StopUngleichheit wird von der Europäischen Union finanziell unterstützt. Die inhaltliche Ausrichtung liegt jedoch in der alleinigen Verantwortung von WECF e.V., sie gibt unter keinen Umständen die Positionen der Europäischen Union wieder.


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